Suche
Suche Menü

Faktencheck

Integriertes Maßnahmenpaket Mobilität

In seiner Sitzung vom 21.04.2021 hat der Kasseler Klimaschutzrat ein „Integriertes Maßnahmenpaket Mobilität“ verabschiedet.

Eine kurze Zusammenfassung der Maßnahmen findet sich hier:

Laut diesem Maßnahmenpaket soll die Stadt Kassel

  • Raum- und Siedlungsstruktur an den Prinzipien einer integrierten Stadt- und Verkehrsplanung orientieren. Dies bedeutet u.a., dass bei Neubaugebieten oder dem Neubau größerer Einrichtungen für einen attraktiven ÖPNV-Anschluss gesorgt wird.
  • eine Ausweitung, Verbesserung und Beschleunigung des ÖPNV-Angebots vornehmen.
  • sichere und komfortable Radverkehrsanlagen auch an Hauptstraßen errichten.
  • die Aufenthaltsqualität und Sicherheit im öffentlichen Raum verbessern, was insbesondere durch eine Verkehrsberuhigung und Neuaufteilung der Verkehrsflächen erreicht werden kann.
  • ein Verkehrsmanagement einführen, das Fuß-, Radverkehr und ÖPNV fördert und unterstützt.
  • eine Preispolitik anwenden, die die Attraktivität des Kfz-Verkehrs verringert und die des ÖPNV und anderer klimafreundlicher Mobilität erhöht (z.B. Prämie für Abschaffung eines Fahrzeugs, Parkraumbewirtschaftung, Parkgebühren, „AboFlex“-Tarifmodell für den ÖPNV).
  • ein Mobilitätsmanagement einführen, das über zielgruppenspezifische Beeinflussung des Mobilitätsverhaltens (über koordinierende, organisatorische und beratende Maßnahmen) die verstärkte Nutzung klimafreundlicher Mobilität anregt (z.B. Ideenwettbewerbe zur Umgestaltung des Straßenraums, Informationskampagnen, Willkommenspaket für Zugezogene, Unterstützung des betrieblichen Mobilitätsmanagements).
  • sich aktiv an die Landes- und Bundespolitik wenden und sich für eine Landes- bzw. Bundesgesetzgebung stark machen, die klimafreundliche Mobilität fördert und unterstützt (z.B. Änderung der StVO).

Als Kasseler Regionalgruppe der Scientists for Future unterstützen wir das Integrierte Maßnahmenpaket Mobilität. Um den politischen und gesellschaftlichen Diskurs zu unterstützen, beleuchten wir an dieser Stelle ein paar gängige Thesen und stellen diesen wissenschaftlichen Fakten gegenüber. Der Faktencheck steht auch hier zum Download zur Verfügung.

Anmerkung: Einzelne Textstellen wurden dem „Integrierten Maßnahmenpaket Mobilität“ entnommen. Das vollständige Papier ist hier zu finden.

Fakt 1: Die Verkehrswende in Kassel braucht eine Förderung von ÖPNV, Fuß, Radverkehr UND einschränkende Maßnahmen im Kfz-Verkehr. Denn erst in ihrer Kombination werden Maßnahmen wirksam genug.

Ein häufig genannter Irrglaube ist, dass eine Förderung der umweltfreundlichen Alternativen alleine ausreichen würde und auf einschränkende Maßnahmen im Kfz-Verkehr wie z. B. eine Erhöhung der Parkgebühren verzichtet werden könne. Diese These geht oft auf den zunächst verständlichen Wunsch zurück, nur unumstrittene und „angenehme“ Maßnahmen zu ergreifen. Studien zeigen jedoch, dass solche Anreize alleine zu wenig Veränderungen bringen. Im „Integrierten Maßnahmenpaket Mobilität“ ist deswegen eine wirksame Kombination von Anreizen und Hemmnissen vorgesehen, die Akzeptanz und Effektivität miteinander verbinden.

Hintergrund: Sogenannte „Pull-Maßnahmen“ – also Maßnahmen, die ein gewünschtes Verhalten attraktiver gestalten – finden in der Bevölkerung meist große Zustimmung und sind daher auch politisch wenig umstritten. Allein eingeführt sind sie jedoch nicht wirksam genug. „Push-Maßnahmen“ hingegen – also Maßnahmen, die darauf abzielen, ein unerwünschtes Verhalten unattraktiver zu gestalten – sind häufig sehr wirksam, erfahren aber deutlich weniger Akzeptanz. Eine Studie, die am Fachgebiet Verkehrsplanung und Verkehrssysteme der Universität Kassel durchgeführt wurde, ergab, dass eine Erhöhung der Betriebsleistung im ÖPNV um 50 % sowie die Einführung neuer Tram- und Buslinien die CO2-Emissionen nur um etwa 1 % senken würden. Push-Maßnahmen alleine wären bereits 12 Mal so wirksam (eine ausreichende Kapazität z.B. im ÖPNV vorausgesetzt). Am effektivsten jedoch ist eine geeignete Kombination von Push und Pull – und genau das sieht das vom Klimaschutzrat verabschiedete „Integrierte Maßnahmenpaket Mobilität“ vor.

Übrigens: Bei einer geeigneten Kombination von „Push“ und „Pull“ können zudem Ausgleichseffekte finanzieller Art genutzt werden – z.B. indem eine Senkung der ÖPNV-Ticketpreise durch höhere Parkgebühren teilweise querfinanziert wird (s. auch Fakt 6).

Quellen: 

Buehler, R., John P., Regine G., Götschi, T. (2017): Reducing car dependence in the heart of Europe: lessons from Germany, Austria, and Switzerland. Transport Reviews 37 (1): 4 28.

Umweltbundesamt (2013): Wirtschaftliche Aspekte nichttechnischer Maßnahmen zur Emissionsminderung im
Verkehr, https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/wirtschaftliche-aspekte-nichttechnischer-massnahmen

Öko Institut (2016): Renewbility III Optionen einer Dekarbonisierung des Verkehrssektors,      
https://www.oeko.de/publikationen/p-details/endbericht-renewbility-iii

Enge, J.; Hölting, A.; Loder, S.; Meier, N.; Sieber, J.; Wies, M. (2020): Entwicklung des ÖPNV in Kassel vor dem Hintergrund der Verkehrswende, Masterprojekt, Universität Kassel.

Fakt 2: Die Verkehrswende ist nicht nur essentiell für den Klimaschutz in Kassel, sondern kann auch die Lebens- und Aufenthaltsqualität in unserer Stadt deutlich erhöhen. 

In Diskussionen werden immer wieder soziale Themen und Lebensqualität gegen Klimaschutzmaßnahmen ausgespielt. Dabei kann gerade die Verkehrswende die Stadt Kassel auf vielfältige Weise lebenswerter und sozial gerechter machen.

Hintergrund: Wird der Kfz-Verkehr verringert, stehen Flächen zur Verfügung, die zuvor lediglich durch parkende oder fahrende Autos genutzt werden konnten. Diese können dann Freiraum für Erholung, Freizeit sowie Rad- und Fußverkehr bieten. Auf der einen Seite können insbesondere Straßencafés und kleinere Geschäfte davon profitieren, andererseits können Grünflächen geschaffen werden, die Wohlbefinden und Gesundheit alles Menschen dienen. Zudem gibt es wesentlich weniger Lärm, sauberere Luft sowie eine höhere Sicherheit im Straßenverkehr. Damit ist ein grüneres und schöneres Stadtbild möglich, das vielfältig, sicher und voller Leben ist.

Das erhöht die Lebensqualität in Kassel und baut Ungleichheiten ab. Denn Menschen mit niedrigem Einkommen leben aktuell häufiger an Hauptverkehrsstraßen und sind damit überdurchschnittlich von verkehrsbedingten Luftschadstoffen und Lärm betroffen. Dabei besitzen diese Haushalte häufiger selbst gar kein eigenes Auto und sind auf gute Alternativen angewiesen. Von einem komfortablen öffentlichen Personennahverkehr, sicheren Fahrradwegen und Platz, um entspannt zu Fuß, mit Kinderwagen oder im Rollstuhl unterwegs zu sein, profitieren deswegen gerade auch Haushalte mit weniger Geld.

Die Umsetzung des Integrierten Maßnahmenpaketes Mobilität kommt daher nicht nur dem Klimaschutz zugute, sondern dem städtischen Leben ganz generell.

Übrigens: Auch der Deutsche Städtetag spricht sich klar für eine Verkehrswende mit einer deutlich verringerten Rolle des Autos aus. 

Quellen:

Deutscher Städtetag (2020): Wir wollen zu einem anderen Mix von Verkehrsmitteln kommen: https://www.staedtetag.de/presse/pressemeldungen/wir-wollen-zu-einem-anderen-mix-von-verkehrsmitteln-kommen

Umweltbundesamt (Hrsg.) (2020): Verkehrswende für ALLE. So erreichen wir eine sozial gerechtere und umweltverträglichere Mobilität. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/2020_pp_verkehrswende_fuer_alle_bf_02.pdf

Bertram, B., Altrock, U. (2009): Renaissance der Stadt. Durch eine veränderte Mobilität zu mehr Lebensqualität im städtischen Raum. Bonn (Reihe Wiso Diskurs der Friedrich-Ebert-Stiftung).
http://library.fes.de/pdf-files/wiso/06071.pdf

Fakt 3: Kassel kann durch die Verkehrswende auch wirtschaftlich profitieren.

Eine Verringerung des (privaten) Kfz-Verkehrs geht nicht zulasten des Wirtschaftsverkehrs – im Gegenteil: Unternehmen des produzierenden Gewerbes, Handwerksbetriebe und Zulieferer können ihre Ziele mit ihrer Fracht auf diese Weise sogar zügiger und besser erreichen. Eine Steigerung der Lebensqualität macht Kassel attraktiver für Beschäftigte und Unternehmen und stärkt auf diese Weise den Wirtschaftsstandort Kassel; eine höhere Qualität des ÖPNV-Angebots und verringerte Beeinträchtigung durch den Kfz-Verkehr führen zu einer Wertsteigerung von Immobilien. Eine Verbesserung der Erreichbarkeit von Unternehmen für Beschäftigte und Kundschaft im ÖPNV und Radverkehr kann den Unternehmen Kosten ersparen, da dann weniger Pkw-Stellplätze vorgehalten werden müssen. Die positiven gesundheitlichen Effekte des Radfahrens reduzieren Kosten im Gesundheitswesen und führen zu verringerten Fehlzeiten der Beschäftigten.

Hintergrund: Der Flächenbedarf pro Person ist bei den Verkehrsmitteln des Umweltverbundes (ÖPNV, Fahrrad, Zufußgehen) geringer als beim Pkw. Eine Verlagerung von Pkw-Fahrten auf den Umweltverbund setzt deshalb im Straßennetz Kapazitäten für diejenigen frei, die sie wirklich brauchen, wie Lieferanten, Handwerks- und produzierende Betriebe.

In Zeiten eines Fachkräftemangels ist es für Unternehmen wichtig, dass die Lebensbedingungen für potenzielle Beschäftigte in der Region attraktiv sind. Eine verbesserte ÖPNV-Anbindung von Unternehmen und ein entsprechender Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur in Verbindung mit betrieblichem Mobilitätsmanagement und einer Anpassung der Stellplatzsatzung ermöglichen es den Unternehmen, mit einer geringeren Anzahl von Pkw-Stellplätzen für Beschäftigte und Kunden auszukommen und dadurch Kosten zu sparen.

Gerade an den Hauptverkehrsstraßen führt der Kfz-Verkehr bislang zu einer erheblichen Verschlechterung der Wohnqualität[1], die sich in der Regel wertmindert auf die betroffenen Immobilien auswirkt. Umgekehrt führt eine gute ÖPNV-Anbindung und ein attraktives, von starkem Kfz-Verkehr unbeeinträchtigtes Wohnumfeld zu höherer Zahlungsbereitschaft bei Kauf und Miete der entsprechenden Immobilien. Der Vordere Westen mit seinem besonders guten ÖPNV-Angebot sowie seiner hohen Dichte an Läden, Arbeitsplätzen, Kitas und anderer Infrastruktur, woraus kurze Wege im Alltag resultieren, ist schon heute der Kasseler Stadtteil mit dem höchsten Gewerbesteueraufkommen.

Übrigens: Dass eine Verkehrswende funktionieren und die Innenstadt attraktiver machen kann, zeigen zahlreiche Beispiele von Städten wie Wien, Utrecht oder Kopenhagen.

Quellen:

Götschi, T.; Garrard, J.; Giles-Corti, B. (2016): Cycling as a Part of Daily Life: A Review of Health Perspectives. Transport Reviews 36:1, S. 45–71, https://doi.org/10.1080/01441647.2015.1057877

Apel, D. (2016): Leistungsfähigkeit und Flächenbedarf der städtischen Verkehrsmittel. In: Gies et al. (Hg.): Handbuch der kommunalen Verkehrsplanung. Strategien, Konzepte, Maßnahmen für eine integrierte und nachhaltige Mobilität. Loseblattwerk/HKV Online, Wichmann-Verlag.

BMVBS (Hrsg.) (2013): Innerstädtische Hauptverkehrsstraßen – Visitenkarte und Problemzone für die Wohnungsmarktentwicklung. BMVBS-Online-Publikation 09/2013.

Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (2015): Ökonomischer Mehrwert von Immobilien durch ÖPNV-Erschließung. https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/bbsr-online/2015/DL_ON112015.pdf?__blob=publicationFile&v=2

Stadt Kassel (2020): Statistische Informationen. Jahresbericht 2019. Kassel, S. 25


[1] Der ZRK bezifferte die Anzahl der durch den motorisierten Individualverkehr in ihrer Wohnqualität beeinträchtigten Menschen auf 35.000 oder 18% der damaligen Bevölkerung. Zweckverband Raum Kassel (ZRK; Hrsg.) (2002): Gesamtverkehrsplan, Kurzfassung. Kassel.

Fakt 4: Das Integrierte Maßnahmenpaket wurde ohne Gegenstimme im Klimaschutzrat beschlossen.

Um Veränderungen dieser Größenordnung umzusetzen, ist Rückhalt in der Stadtgesellschaft unerlässlich. Dass das Maßnahmenpaket im Klimaschutzrat ohne Gegenstimme angenommen wurde, gibt der Verkehrswende in Kassel daher viel Rückenwind.

Hintergrund: Das Integrierte Maßnahmenpaket Mobilität wurde von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Stadtverwaltung im Konsens erarbeitet. Danach wurde es von den Mitgliedern des Klimaschutzrates am 21.04.21 diskutiert und mit 26 Ja-Stimmen bei drei Enthaltungen beschlossen. Vertreter der Automobilindustrie haben ebenso für das Paket gestimmt wie Vertreter zivilgesellschaftlicher Institutionen und der Wissenschaft. Dies zeigt einerseits, dass die Maßnahmen aus fachlicher Sicht sinnvoll sind und andererseits, dass ein breiter gesellschaftlicher Konsens möglich ist. 

Übrigens: Laut Umfragen wünscht sich eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung einen besseren Schutz der Gesundheit, mehr Sicherheit zu Fuß und auf dem Rad und eine höhere Lebensqualität in verkehrsgeplagten Städten. Genau darauf zielt auch das Integrierte Maßnahmenpaket Mobilität ab.

Quellen:

Örtl, E. (2019): Umweltbewusstsein in Deutschland 2018. Umweltbundesamt.          
https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/umweltbewusstsein-in-deutschland-2018

Fakt 5: Um Klimaneutralität zu erreichen und die Lebensqualität in der Stadt zu erhöhen, darf die Verkehrswende nicht auf technische Aspekte von Effizienz und Antrieb verkürzt werden.

Die Diskussion um die Verkehrswende kreist oft um den Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge. Aber ausschließlich auf die Antriebswende zu blicken, vernachlässigt wichtige Aspekte.

Hintergrund: Wenn alle zugelassenen Autos mit alternativem Antrieb fahren würden statt mit fossilen Energieträgern, wären zahlreiche weitere Probleme des aktuellen Verkehrssystems nicht gelöst. Straßen und Plätze wären noch immer verstopft, Kassel hätte weiterhin Verletzte und Tote im Verkehr zu beklagen, die Umsetzung der Energiewende würde aufgrund des höheren Energiebedarfs deutlich schwieriger. Daher muss das Ziel zuallererst sein, das Verkehrsaufkommen im Pkw-Verkehr zu verringern und eine Verlagerung auf möglichst energieeffiziente und klimafreundliche Verkehrsmittel (Fuß- und Radverkehr, öffentlicher Verkehr und Sharing-Mobilität) zu erreichen – die Förderung der Elektroautos inklusive der Ladeinfrastruktur alleine kann nicht die Lösung sein.

Übrigens: Die Herstellung von Elektroautos – insbesondere der Batterien – erfordert viel Energie und Rohstoffe und ist mit vielfältigen negativen Umweltauswirkungen verbunden. So wird bei der Herstellung eines Elektroautos im Vergleich zu einem Verbrenner-Pkw etwa die doppelte Menge an Treibhausgasen ausgestoßen.

Quellen:

Agora Verkehrswende (2017): 12 Thesen zur Verkehrswende, https://www.agora-verkehrswende.de/12-thesen/die-verkehrswende-gelingt-mit-der-mobilitaetswende-und-der-energiewende-im-verkehr/

Wuppertal Institut (2020): CO2-neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze, https://wupperinst.org/p/wi/p/s/pd/924

FGSV (2016): Übergänge in den postfossilen Verkehr,             
https://www.fgsv.de/fileadmin/pdf/Kurzbericht_FGSV_006_12_Postfossile_Mobilita__t_.pdf

Teufel, D., Arnold, S., Bauer, P., Schwarz, T. (2019). Ökologische Folgen von Elektroautos. Ist die staatliche Förderung von Elektro- und Hybridautos sinnvoll? UPI-Bericht Nr. 79. 3. Aktualisierte Auflage. Umwelt- und Prognose-Institut Heidelberg. https://www.upi-institut.de/UPI79_Elektroautos.pdf

Ohta, H., Fujii, S. (2011). Does purchasing an “eco-car” promote increase in car-driving distance? Tokyo Institute of Technology.

Agora Verkehrswende (2019): Klimabilanz von Elektroautos. Einflussfaktoren und Verbesserungspotenzial.

Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE (2019): Treibhausgas-Emissionen für Batterie- und Brennstoffzellenfahrzeuge mit Reichweiten über 300 km.

Fakt 6: Parken nimmt aktuell überproportional viel öffentliche Fläche ein und wird gegenüber anderen Nutzungsmöglichkeiten finanziell bevorzugt.

Häufig wird mit Blick auf eine Erhöhung der Parkgebühren damit argumentiert, dies sei eine ungerechte Benachteiligung der Autofahrenden. Dabei ist vielmehr der aktuelle Zustand extrem unausgewogen: Parken nimmt überproportional viel öffentliche Fläche ein und wird gegenüber anderen Verkehrsmitteln und Nutzungsmöglichkeiten finanziell bevorzugt. Eine Angleichung der Anwohnerparkgebühren an die Marktpreise für die Nutzung öffentlicher Freiflächen – z.B. für Außengastronomie, Marktstände oder Bauschuttcontainer – stellt keine Benachteiligung dar, sondern vielmehr die Abschaffung einer umweltschädlichen Subvention.

Hintergrund: Das Aufstellen eines Containers kostet in Kassel pro Tag und Quadratmeter etwa das Zehnfache eines Anwohnerparkausweises, eine Freischankfläche je nach Jahreszeit das 13- bis 20fache, ein Platz auf dem Wehlheider Wochenmarkt mehr als das 50-fache.

Bei der Erhöhung der Parkgebühren für Besucher ist zu beachten, dass diese an die Einführung eines Halbpreisabos für den ÖPNV (Tarifmodell „AboFlexPlus“) gekoppelt werden sollen. Dieser Tarif beinhaltet unter anderem, dass bei Zahlung eines moderaten festen monatlichen Beitrags für den halben Preis mit Bus und Bahn in die Stadt gefahren werden kann und auch die (dann höhere) Parkgebühr halbiert wird. Auf diese Weise wird ein Beitrag zur Finanzierung eines verbesserten ÖPNV-Angebots geleistet und AboFlexPlus-Kunden können im Gegenzug weiterhin für den ursprünglichen Preis parken.

Übrigens: Im internationalen Vergleich sind die Kosten für einen Anwohnerparkausweis in Deutschland sehr gering (Salzburg: 80 bzw. 160 € p. a., Basel: 260 € p. a., Amsterdam: 535 € p. a., Stockholm 827 € p. a.).

Quellen:

zu Gebühren für Bewohnerparkausweise: https://www.kassel.de/service/produkte/kassel/strassenverkehrs–und-tiefbauamt/bewohnerparkausweis-beantragen.php

zu Gebühren für Aufstellung eines Containers und für eine Freischankfläche: https://www.kassel.de/satzungen/satzung-ueber-die-sondernutzung-an-oeffentlichen-strassen-im-gebiet-der-stadt-kassel-und-ueber-sondernutzungsgebuehren-sondernutzungs-und-sondernutzungsgebuehrensatzung.php#-C2A79_Erhebung_von_Sondernutzungsgeb-C3BChren, dort: Verzeichnis der Sondernutzungsgebühren, Abschnitte 1.35, 3.21f

zu Gebühren für Stellplatz auf dem Wochenmarkt:
https://www.kassel.de/service/produkte/kassel/ordnungsamt/ordnungs–und-aufsichtsangelegenheiten/wochenmaerkte.php

Agora Verkehrswende (2019). Parkraummanagement lohnt sich! https://www.agora-verkehrswende.de/fileadmin/Projekte/2017/Parkraummanagement/Parkraummanagemet-lohnt-sich_Agora-Verkehrswende_web.pdf

Website der Deutschen Telekom AG „Große Stadt, hohe Parkgebühr?“, https://urban-mobility.telekom.com/blog-details/grosse-stadt-hohe-parkgebuehr, Zugriff am 10.05.2021

Fakt 7: Das Integrierte Maßnahmenpaket verändert die Rahmenbedingungen für die Mobilität durch Anreize und Hemmnisse, es gibt weder einen Zwang für die Nutzung des Umweltverbundes, noch ein Verbot des Autofahrens.

Zwang gibt es in dem Konzept nicht, sondern Anreize und Hemmnisse. Wer will, kann auch nach Umsetzung des Maßnahmenpakets weiterhin mit dem Auto in die Stadt fahren.

Generell zielt ein Großteil der vorgeschlagenen Maßnahmen darauf ab, Alternativen zum Auto attraktiver zu machen. Allerdings hat sich gezeigt, dass dies allein nicht ausreicht (s. Fakt 1).

Hintergrund: Das Mobilitätsverhalten der Menschen wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Neben eigenen Einstellungen, Fähigkeiten und Ressourcen spielen externe Faktoren wie die Qualität und Kosten des Verkehrsangebotes (z. B. Geschwindigkeit, Verfügbarkeit, Flexibilität) sowie der Wohnstandort und die Lage der Zielgelegenheiten eine wesentliche Rolle bei den Entscheidungen zum Mobilitätsverhalten. Das Integrierte Maßnahmenkonzept verändert diese Faktoren zielgerichtet, um möglichst effektiv die verkehrsbedingten CO2-Emissionen zu reduzieren. So sollen u.a. Preise und Geschwindigkeiten der unterschiedlichen Verkehrsmittel angepasst werden. Insgesamt werden damit die Rahmenbedingungen für das Mobilitätsverhalten geändert – die Entscheidung, ob und wenn ja, mit welchem Verkehrsmittel und zu welchem Ziel ein Weg durchgeführt wird, treffen die Menschen weiterhin selbst, nur eben auf Basis anderer Rahmenbedingungen.

Übrigens: Eine Pförtneranlage ist nicht dirigistischer als jede andere Lichtsignalanlage auch. Zweck von Pförtneranlagen ist es, eine Überlastung des innerstädtischen Straßennetzes zu vermeiden.

Beckmann, K. J. (2001): „Mobilität“, in: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Uwe Köhler; in: „Verkehr – Straße, Schiene, Luft“, Ernst & Sohn Verlag.

Sommer, C. (2016): „Mobilitätsverhalten“, in: Ostermann, N.; Rollinger, W. (Hrsg.), „Handbuch ÖPNV – Schwerpunkt Österreich“, DVV Media Group, Hamburg.